Am 22. Mai 2020 erscheint Tim Vantols neues Album „Better Days“. Diese Platte beinhaltet Songs, die so klingen, als würde man sie schon ewig kennen. Wenn man den Niederländer privat besuchen möchte, muss man bis zum Alpensaum in Berchtesgaden reisen: 800 Meter über Null und eine wohltuende Dimension entfernt vom stressigen Trubel der Großstadt. Berchtesgaden, das sei „Next Level Bayern“, sagt der Sänger. Drei Meter Schnee vor der Haustür gab es letzten Winter, Vantol fühlt sich hier wohl und das hört man in seinen Songs. Der Ort mit seinen netten und zugänglichen Einwohnern trägt wohl auch seinen Teil dazu bei.
Die Musik des Albums „Better Days“ lässt sich ebenfalls als „Next Level“ bezeichnen: wie die letzte Perle auf der Schnur muskulöser Rockalben, die dem Niederländer in den letzten elf Jahren eine treue Fanbase sichern konnte. „Better Days“ ist vermutlich das mit Abstand persönlichste Werk des Musikers. „Meine Songs sind immer aus der Perspektive meines Lebens geschrieben, aber sie sollen gleichzeitig so offen wie möglich bleiben“, sagt der Sänger. Gleich der erste Song „No More“ enthält eine dieser typischen Tim-Vantol-Zeilen, die klingen, als wären sie frisch auf die Seele tätowiert worden:
„Brand new directions are waiting for you“ heißt es da, aber es kommt einmal mehr auf die Stimme an, die diese Zeilen singt.
Denn Tim Vantols Stimme klingt immer all in. Sie klingt wie der Arm, der einen zurück über die Brüstung ins Fenster zieht, aus dem man gefallen ist. Wie der Rudelführer einer gutartigen Gang oder der letzte verantwortungsvolle Typ in einer verrückten Welt. Sie klingt, als ob der Sozialismus mit Leuten wie ihm funktionieren würde. Rau, aber eben nur so rau wie ein Wollpullover und nicht wie berstendes Schmirgelpapier. Vor allem klingt sie mitreißend – und das wiederum passt zur einer Musik, die nur den Vorwärtsgang kennt. „Sei dankbar darüber, dass du
Familie und Freunde hast und sag es ihnen“, scheint etwa „Tell Them“ zu sagen. Nichts im Leben ist selbstverständlich, umso wichtiger erscheint es, positive Gedanken auch regelmäßig auszusprechen.
„Ich hatte nie das, was man eine bucket list nennt“, sagt Tim Vantol. „Trotzdem fühlt es sich so an, als hätte ich in meiner Karriere eine Menge Punkte davon abgestrichen. Ab hier ist alles ein Bonus.“ In seinem Fall ist das allerdings keine vage esoterische Einsicht, die man mit genügend Glückskeksen erlangt, sondern ein hart erarbeitetes Stück Lebensphilosophie. „Ich kämpfe schon seit Jahren mit meinen eigenen Dämonen, die mal stärker und mal schwächer präsent sind“, erklärt der Sänger. „In den ersten Jahren habe ich gedacht, das bin einfach ich. Dann aber hatte ich zunehmend Gedanken, die man als jüngerer Mensch nicht haben sollte. Ich dachte sogar daran, die Musik an den Nagel zu hängen. Auf der Bühne war ich immer der freundliche, fröhliche Kerl, und das war in dem Moment auch nicht gelogen, aber abseits davon tat sich immer öfter ein Loch auf.“
Eine verworfene EP mit beklemmendem Songmaterial später erkannte der Musiker: „Es gibt nur drei Wege, um mit sich selbst umzugehen. Man kann so bleiben, wie man ist; man kann sich aus schwierigen Lebenslagen herauskämpfen; oder man kann noch tiefer hineinfallen, was immer die Konsequenzen sind.“ Glücklicherweise schaffte es Tim, aus dem Hässlichen das Schöne herauszuarbeiten und damit die etwas ironische Situation, zum Trostspender mit wundem Kern zu werden. „Better Days“ ist nämlich alles andere als verdrießlich geworden. „Beim Hören soll man nicht denken: Oh, fuck my life“, betont Tim Vantol. „Ich will die Leute eher motivieren. Manchmal liegt man am Boden, aber es gibt immer einen Grund, weiterzumachen. Es gibt Menschen, die brauchen diese kleine Aufmunterung, und genau die will ich ihnen geben.“
Auf dem neuen Album explodiert Tim Vantol geradezu mit neuem Lebensmut, hebt die Faust, heult den Mond an, krempelt die Arme hoch und lässt ein Triumphgeschrei hören, für das niemand zu alt ist. Das Titelstück gibt die Marschrichtung mit krachenden Gitarren und galoppierenden Drums vor: „I want to wake up next to you and feel unbroken.“ „A River Full Of Reasons“ schlägt in dieselbe Kerbe und spielt mitten in seinem Melodie-Crunch diesen einen entwaffnenden Moll-Akkord, der einem das Hemd aufknöpft und die Hand aufs Herz legt.
Auch sehr nachdenkliche Passagen beinhaltet das neue Album. „I’m going to make it, but not today“, heißt es beispielsweise auf “Not Today”. Doch schon mit „It’s Gonna Hurt“, dem weisesten Song, den Tim Vantol je geschrieben hat, nimmt er den Stift seiner eigenen Biografie wieder in die Hand und singt: „Promises are made to be kept.“ Stimmt ja auch. „Dieser Song ist eine Ode an den Schmerz“, sagt der Sänger. „Wir empfinden den Schmerz als etwas Schlechtes, dabei kann er uns auch stark machen. Natürlich wäre es mir lieber, mir wäre all das nicht passiert, aber es hat mich eben auch zu der Person gemacht, die ich jetzt bin, und rückblickend bin ich dadurch stärker geworden.“
Womit wir bei „You Will Never“ wären – dem Trink-, Fußball-, Weihnachts- oder Liebeslied sowie Protestsong in einem. Das man an der Theke singen kann, in der Badewanne oder auf den Barrikaden. Bis die Stimme aufgibt und der Refrain dem Schicksal Angst zu machen beginnt. Im Song heißt es ganz einfach: „You are never gonna get me down!“
Wie sagt Tim Vantol so schön?
„Ich war am Arsch und jetzt erzähle ich den Leuten, wie es ihnen gut gehen soll. Ist das heuchlerisch?“
Spoiler: Ist es nicht.